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Im Norden

ImageZurück aus Helsinki, voller Eindrücke von einer ziemlich coolen Stadt in einem ziemlich coolen Land. Mein streng subjektiver Reisebericht. Vielen, vielen Dank an Kaisa und Tuomas, die mir weit über meine Fragen zu EU, Wirtschaft und Politik hinaus einen tollen Blick auf die finnische Seele ermöglicht haben.

Dieser Artikel ist willkürlich in verschiedene Themen eingeteilt – ich fange am besten mit dem Thema an, auf das ich nach meiner Rückkehr am öftesten angesprochen wurde.

 

Alkohol

„Ich schwöre dir, du siehst aus wie ein Finne. Und ich habe mich noch gewundert, warum du auf Englisch bestellst!“ Andi hat bereits einigen Vorsprung, als ich mich an die Bar setze. Er kann es immer noch nicht fassen, mit einem Österreicher anzustoßen („KIPPIS!!!“). Mit Koskenkorva, echtem finnischen und ziemlich billigem Wodka (4,50 Euro das Stamperl, aber, wie mir Andi versichert, „the drink with the biggest balls“). Genüsslich nimmt Andi einen Nipper, bekommt Schlagseite und schläft friedlich auf seinem Barhocker ein. „Unter der Woche, ja? Das ist selten.“ Tuomas ist ehrlich erstaunt über mein erstes Zusammentreffen mit einem sturzbetrunkenen Finnen. „Die meisten bleiben unter der Woche völlig abstinent und schütten sich am Wochenende zu. Nach der Arbeit auf ein Bier gehen – oder von mir aus auch auf zwei – das gibt’s in Finnland nicht. “ Man könnte fast sagen, die Finnen wollen einen Rausch, der sein Geld wert ist – ganz oder gar nicht. Denn die Sache ist alles andere als billig. Für ein Bier (0,5 Liter) bezahlte ich zwischen 4,50 und 8,40 Euro. Spirituosen kosten dementsprechend mehr (siehe oben).

Das Bier ist übrigens auch so ein leidiges Thema. Von 1919 bis 1932 galt in Finnland die Prohibition. Alles, was man sich zuvor an Braukultur oder der Gewinnung edler Brände angeeignet hatte, musste zu dieser Zeit im stillen Kämmerchen über die Bühne gehen. Und das lief meist auf einen selbst gebrannten Fusel hinaus, von dem man nur dann nicht blind wurde, wenn man recht großes Glück hatte.

Jedenfalls ist finnisches Bier gewöhnungsbedürftig. Kleschkalt serviert, mit wenig Kohlensäure und vom Geschmack her eher unauffällig. Beeindruckend ist jedoch die Geschwindigkeit: Während hierzulande ein gutes Pils schon einmal einen zehnminütigen Zapfvorgang für sich beanspruchen kann, dauert dieser in Finnland zehn Sekunden: Eine eigene Halterung für die Gläser unter den Zapfhähnen sorgt dafür, dass das Glas im richtigen Winkel steht und blitzschnell befüllt werden kann – nur der Schaum bleibt halt auf der Strecke. Der Kellner im PRKL Club hat für meine Bedenken nichts übrig: „Weißt du, das Bier ist hier zum Trinken da, und nicht zum Anschauen.“ Stimmt auch wieder.

Noch eine letzte Bemerkung zum Thema Alkohol. In Lebensmittelgeschäften findet man ausschließlich Bier und Apfelwein mit einem Alkoholgehalt von maximal 4,8 Prozent. Zwischen 21 und 9 Uhr darf im Handel überhaupt nur Leichtbier mit maximal 2,8 Volumsprozent verkauft werden. Weine aus aller Welt und eine auffällig breite Palette an Spirituosen gibt es ausschließlich in Geschäften mit dem klingenden Namen „Alko“ zu kaufen. Und nicht nur die erfreuen sich großer Beliebtheit: Tuomas erzählt mir, dass Lebensmittelgeschäfte gut und gern den doppelten Umsatz im Vergleich mit der Konkurrenz schreiben, wenn sie in der Nähe einer „Alko“-Filiale errichtet werden. „Alko“ ist übrigens eines der wenigen finnischen Wörter, bei denen man sich auch als Nicht-Finne vorstellen kann, worum es geht.

 

Die Sprache

Ja, sie ist kompliziert. Nicht nur, weil Finnisch mit so gut wie keiner mitteleuropäischen ImageSprache etwas zu tun hat (Ok, ein bisschen mit Ungarisch vielleicht, aber das hilft meistens auch nicht weiter). Die weiteren Probleme sind nämlich die ellenlangen Wörter, in denen es vor Doppelbuchstaben nur so wimmelt, und die 17 (!) Fälle. Dass es in der Sprache keine Geschlechter gibt, trägt nur gering zu einer Vereinfachung bei. Und so bleibt nach einer Woche kein großer finnischer Wortschatz über, mit Ausnahme von „Hei!“ („Hallo!“), „Moi!“ („Hallo!“) und „kiitos“ („danke“). Ahja, und „Kippis!“ natürlich. Und das vielleicht auch nur wegen einer verdammt blöden Eselsbrücke.

 

Sisu

Und noch ein Wort bleibt im Gedächtnis. „Sisu“ ist eines der Schlüsselwörter in Finnland – angeblich hat jeder Finne ein bisschen „Sisu“ in sich. Doch was versteht man darunter?
Der finnische Läufer Lasse Viren schrieb bei den Olympischen Spielen 1972 in München nicht nur Sportgeschichte – er sollte auch etwas leisten, das die Finnen bis heute als Paradebeispiel nennen, wenn sie gefragt werden, was „Sisu“ ist.
Zur Hälfte des 10.000 Meter-Laufs war Viren im dichten Gewusel gestürzt – eigentlich Grund genug, aufzugeben. Aber nicht für den Finnen: Blitzschnell hatte er sich aufgerappelt, 1.500 Meter später die Führung übernommen – und schließlich mit neuer Weltrekordzeit Gold geholt.
„Sisu“ lässt sich nicht mit einem bestimmten Wort übersetzen – am ehesten steht es für eine Mischung aus Kampfgeist und Willensstärke, für die Fähigkeit, Fehler wegzustecken und auch in aussichtslosen Situationen durchzuhalten.
Meine Gesprächspartner in Helsinki kennen übrigens alle jemanden, der in seinem Leben bereits gezeigt hat, dass er „Sisu“ hat – von sich selbst würden sie das aber nicht behaupten. Noble Zurückhaltung ist eben auch ein fester Teil der finnischen Mentalität.

 

Mentalität

Apropos! Bevor ich nach Finnland gekommen war, wurde mir schon prophezeit, dass ich mir schwer tun würde, mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Finnen gelten als zurückhaltend. Still zu sein sei nicht ein Zeichen dafür, dass man mit jemandem nicht reden will, sondern stehe dafür, dass man rundum zufrieden ist. Wer zu viele Fragen stellt oder nicht aufhört zu reden, werde schnell schief angeschaut.

Ein Klischee, das sich mir nicht bestätigt hat, im Gegenteil: Ich bin durchgehend auf kontaktfreudige, weltoffene und extrem freundliche Leute gestoßen. „Liegt wahrscheinlich daran, dass das hier Helsinki ist – und Helsinki ist nicht so ganz Finnland“, erklärt Tuomas. Das mit der noblen Zurückhaltung kann er aber auch von den Leuten in der finnischen Hauptstadt bestätigen. „Niemand kommt auf die Idee, mit irgendwelchen Sachen anzugeben. Schau dir die reichsten Finnen an. Sie fahren gewöhnliche Autos, sie putzen sogar ihre Wohnung selbst. Eine Yacht, mit der sie vor Helsinki herumfahren? Vergiss es!“

Verbunden mit dieser Bescheidenheit und Ruhe scheint aber noch etwas typisch für die Finnen zu sein: Der Wunsch, möglichst niemandem zur Last zu fallen. Kaisa ist ein typisches Beispiel dafür. Die Studentin will Lehrerin werden, „zu den besten Lehrern der Welt gehören“, wie sie es nennt. Das Studium ist hart, die Aufnahmeprüfungen fürs Lehramt in Finnland sind schwieriger als die fürs Medizinstudium. Trotzdem legt sie den größten Wert darauf, von ihren Eltern unabhängig zu sein, auch, wenn das heißt, dass sie neben ihrem Studium in drei verschiedenen Lokalen als Kellnerin arbeiten muss. „Ich hätte ein blödes Gefühl, wenn ich mir Geld von meinen Eltern leihen müsste“, sagt Kaisa. Und natürlich schafft sie es – und darauf ist sie stolz.

 

Hesburger

ImageDieser Stolz ist auch merkbar, wenn Finnen einkaufen gehen. „Viele Leute schwärmen für finnisches Bier, das wie Pisse schmeckt. Oder für finnische Tomaten, die in Glashäusern gezüchtet werden. Das ist doch kein Vergleich zu Tomaten aus den südlichen Ländern, die richtig viel Sonne abbekommen!“ Für so etwas wie sturen Nationalstolz kann sich Tuomas, der sich vor allem als Europäer sieht, so gar nicht begeistern. Und doch erzählt er mir eine Geschichte, die ihn sichtlich amüsiert: McDonalds musste im Kampf mit der im finnischen Turku beheimateten Kette „Hesburger“ Federn lassen. Heute betreibt „Hesburger“ in Finnland mehr Filialen als McDonalds. Und wo der Fight in unmittelbarer Nachbarschaft über die Bühne geht – wie unweit des größten Einkaufszentrums mitten in Helsinki – greift man oft zu ungewöhnlichen Mitteln: Die McDonalds-Filiale gegenüber von „Hesburger“ hat bis fünf Uhr früh geöffnet. Die einzige Zeit, zu der ein Big Mac eine Chance gegen einen Ruis Burger hat.

 

Angry Birds

ImageUnd noch etwas zum Thema „finnische Produkte“. Als bekannt wurde, dass es mit Nokia nicht mehr so toll läuft, da genoss das nächste finnische Aushängeschild in der Technologiewelt bereits Kultstatus: Angry Birds, das bekannteste Smartphone-Spiel des finnischen Unternehmens Rovio. In Helsinki ist das grantige Federvieh allgegenwärtig: Auf Kaffeetassen, T-Shirts, Glückwunschkarten, Wasserflaschen und sogar auf einer Finnair-Maschine. Und nicht nur da. Zuletzt hatte nämlich Teija Vesterbacka, die Frau von Rovio-Marketing-Boss Peter Vesterbacka, für Aufsehen gesorgt: Zum Nationalfeiertags-Empfang des finnischen Präsidenten war sie in einem Kleid im Angry Birds-Design erschienen.

 

Kaamos – die dunkle Zeit

Technik hilft den Finnen auch im Polarwinter. Im großen und Ganzen liegt Helsinki recht zufriedenstellend – zwischen November und Feber wird es hier, im Süden des Landes, untertags manchmal wirklich ein bisschen hell. „Kaamos“ nennen die Finnen diese dunkle Zeit, in der die Sonne kaum merkbar über den Horizont schleicht. Sie nehmen’s zum Teil mit Humor. „Im Radio wird jeden Tag durchgesagt, wann die Sonne aufgeht. Das klingt dann so: ‚In Helsinki geht die Sonne um 1 Uhr auf. In Tampere geht die Sonne um 2 Uhr auf. In Lappland geht die Sonne im Februar auf.‘ Schon ziemlich sadistisch, eigentlich“, sagt Tuomas.

Doch nicht alle Finnen gehen mit der Dunkelheit so locker um, die Winterdepression ist weit verbreitet. Zum Ausgleich gibt es spezielle Tageslichtlampen, vor die man sich zwanzig Minuten pro Tag setzt. Tuomas erzählt von einer neuen Erfindung: Ohrstöpsel, die Licht abstrahlen, das angeblich direkt ins Gehirn geht und glücklich macht. Einen wissenschaftlichen Beweis bleiben die Erfinder schuldig. Wie man hört, hat sich auch der Nokia-Boss an der Entwicklung dieser Lichstöpsel beteiligt. Ob das ein gutes Omen ist?

 

Finnischer Frühling

Wer nicht auf die Technik vertraut, der zieht im Winter die Flucht in den Süden vor. Wohlhabende Finnen leisten sich ein „Winterhaus“ in Spanien, oder sie ziehen gleich nach Florida. „Manche fahren auch für ein, zwei Wochen nach Dubai oder sonstwohin. Aber das ist eher kontraproduktiv. Wenn sie dann zurück in die Dunkelheit müssen, sind sie noch unglücklicher“, sagt Tuomas. Umso befreiender ist es dann, wenn die ersten ernstzunehmenden Sonnenstrahlen auf Helsinki treffen – im Mai. Tuomas: „Alle Lokale stellen die Sitzgarnituren vor die Tür. Und die Leute genießen ihr erstes Bier des Jahres im Freien – in Winterjacken und eingewickelt in Decken, aber alle schwärmen davon, wie herrlich warm die Sonne doch ist.“

 

Heavy Metal

ImageEines hat in Finnland aber das ganze Jahr über Saison: Heavy Metal. Bands wie Nightwish, Sonata Arctica oder Stratovarius genießen in Finnland einen Bekanntheitsgrad wie bei uns Christl Stürmer oder DJ Ötzi – quer durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten. Das äußert sich auch in der Lokalszene: Die selbst auferlegte Aufgabe, jeden Tag eine neue Metal-Bar zu besuchen, war kein Problem. Es sind sogar noch einige übriggeblieben. Ich brauche eine ToDo-Liste für meinen nächsten Besuch.

 

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Entstanden im Rahmen von eurotours 2013 – einem Projekt der Europapartnerschaft, finanziert aus Gemeinschaftsmitteln der Europäischen Union. 

Die Beiträge aller Eurotours-Teilnehmer findet ihr hier!

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